Zurück zur Übersicht„Das nachhaltigste Gebäude ist das, das nicht gebaut wird“
„Das nachhaltigste Gebäude ist das, das nicht gebaut wird“

Tobias Wagner, CEO von ShareYourSpace, im Interview mit der Immobilien Zeitung über Nachhaltigkeit, Einstellungswandel, Coworking, Büroflächenversorgung – und was www.shareyourspace.com damit zu tun hat

Tobias Wagner, CEO von ShareYourSpace, im Interview mit der Immobilien Zeitung über Nachhaltigkeit, Einstellungswandel, Coworking, Büroflächenversorgung – und was www.shareyourspace.com damit zu tun hat

Ulrich Schüppler, 05.12.2019, Immobilien Zeitung

Tobias Wagner hat mit ShareYourSpace eine Plattform ins Leben gerufen, die brach liegende Bürofläche nutzbar machen sollen. Davon würden Pendler und Vermieter ebenso profitieren wie das Klima.

Immobilien Zeitung: Herr Wagner, sie haben seit über 25 Jahren Erfahrungen in und mit der Immobilienbranche gesammelt, die in Bezug auf die Klimawandeldebatte unter einem enormen Rechtfertigungsdruck steht. Wie könnte sie dem begegnen?

Tobias Wagner: Ich bin tatsächlich kritisch, es ließe sich einiges besser machen. Viele reden über Nachhaltigkeit, aber wodurch werden Immobilien denn nachhaltig? Doch nicht durch Zertifikate
wie Leed und DGNB, sondern dadurch, dass von vornherein weniger Boden versiegelt, auf nicht notwendigen Neubau verzichtet und Verkehr entlastet wird. Die Lösung liegt im Bestand: Nichts ist
nachhaltiger als die bessere Nutzung bereits vorhandener Ressourcen. Das nachhaltigste Gebäude ist das, das nicht gebaut wird.

IZ: Sie haben mit ShareYourSpace ein Unternehmen zur Vermittlung und Buchung von temporärem Büroraum gegründet. Liegt die Lösung in solchen Plattformen?

Wagner: Sharing-Plattformen sind tatsächlich ein mächtiger Hebel für mehr Sustainability. Die Technologie ist jedoch immer nur ein Enabler, ein Schmiermittel. Entscheidend ist der Wandel in
Einstellungen und Werten: Nutzen wird wichtiger als Besitzen. Ich bin ein Verfechter der Sharing-Economy. Als ich die ersten Erfahrungen mit Airbnb vor über zehn Jahren gemacht habe, war das Konzept noch wenig bekannt, heute ist es Alltagserfahrung. Schon bei meiner ersten Airbnb-Buchung habe ich mich gefragt, warum ein solches Konzept nicht auch für Büroflächen existiert. Mit der temporären Vermietung von Flächen lässt sich leerstehender Raum viel effizienter nutzen. Da setzen wir an: Büros, Arbeitsplätze, Konferenzräume, Meetingspaces sind in der Regel nicht 24/7 belegt.

IZ: Gibt es denn überhaupt so viel leerstehenden Büroraum in
Deutschland?

Wagner: Da müssen wir unterscheiden: Es gibt kaum noch freie Mietflächen im Angebot, aber faktisch sind die meisten Büroflächen über 50% der Zeit nicht genutzt. Das hat viele Gründe:
Reserveflächen für künftiges Wachstum oder zu viel Platz. Hinzu kommen Zeiten, in denen Mitarbeiter außerhalb des Unternehmens arbeiten, Teilzeitarbeitsplätze, die nur zu definierten Zeiten belegt sind usw. Das Potential ist riesig: Über 500 Mio. qm Bürofläche alleine in Deutschland. Ready to work. Hier setzen wir an: Bei ShareYourSpace können diese Flächen inseriert, gefunden,
gebucht und bezahlt werden. Die Plattform richtet sich an alle mit Workspaceangebot – egal ob Eigentümer oder Mieter, internationaler Corporate oder kleine Unternehmung – und an jeden der Workspace sucht, aber keine langfristige Obligation eingehen kann oder will: Startups, Projektteams, Selbständige, Unternehmen im Wandel. Die Vorteile: höhere Flächenprofitabilität für den Anbieter, der Suchende findet seine passgenaue Fläche für die Zeit, in der er sie braucht, dort wo er sie braucht. Die Flexibilität und die Möglichkeit zum Coworking kommen beiden Seiten zugute. Nicht zuletzt wird der größte Hebel für mehr Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft bewegt.

IZ: Über welche Zeiträume reden wir, wenn wir von temporärer Vermietung sprechen? Und wie finden Mieter und Vermieter zueinander?

Wagner: Die Mietdauer reicht von einer Stunde bis zu einem Jahr. Das Prinzip lautet dabei: Plug and Work, also Stecker einstöpseln und loslegen. Offeriert und gebucht werden können Schreibtisch, Bürofläche (vom einzelnen Zimmer bis zum ganzen Stockwerk) sowie Meeting- und Konferenzräume. Es gibt Angebote zur alleinigen Nutzung und solche für Coworking. Anders als bei den meisten Coworking-Anbietern kann der Mieter dabei festlegen, bei welchen Vertretern anderer Branchen oder Firmen er am liebsten unterkommen möchte. Der Vermieter wiederum kann Wunschmieter definieren und bestimmte Mieter ausschließen sowie festlegen, dass die Buchung erst zustande kommt, wenn er der Person des Mieters zugestimmt hat. So lassen sich gezielt Synergien schaffen: von der gemeinsamen Fläche zum gemeinsamen Projekt.

IZ: Wie sieht das bei großen Unternehmen aus, die Flächen vermieten, auf denen eigene Mitarbeiter sitzen? Besteht da nicht die Gefahr, von temporären Mietern ausspioniert zu werden?

Wagner: Das Corporate Real Estate Management bei großen Unternehmen ist der komplexeste Fall. Sicherheitsbedürfnissen ist besonders Rechnung zu tragen – wer hat zu welcher Fläche wann Zugang? Hierfür gibt es ein Ökosystem an technischen Lösungen, auch ShareYourSpace bietet solche. Fakt ist: Bei Reinigungskräften und Besuchern funktioniert der Zugang schon heute. Es ist also vor allem eine Mentalitätsfrage, ob ein Unternehmen bereit ist, Betriebsfremde vorübergehend in den eigenen Büros unterzubringen.

IZ: Wie denken Sie, wird sich der Coworking-Markt künftig entwickeln?

Wagner: Das Bedürfnis nach räumlicher und zeitlicher Flexibilität ist da und wird weiter zunehmen. Unternehmen, Business und damit Raumbedarf sind dynamisch. Starre Bürolösungen mit langjährigem Mietvertrag reflektieren dies nicht. Die wachsende Anzahl an Coworking-Anbietern ist ein Beleg für diesen Bedürfniswandel. Coworking-Betreiber sind aber in der Natur der Sache liegend auf bestimmte Standorte und standardisierte Flächenprodukte beschränkt, die sie teuer verkaufen müssen. Das Geschäftsmodell funktioniert vor allem bei einem insgesamt knappen Flächenangebot. Unsere Idee eines Office-as-a-Service ist viel umfassender: Wir wollen Flächen in allen Lagen, an allen Standorten, in allen Ausstattungen und in allen Größen nutzbar machen. Ein Geschäftsmodell, das in allen Marktphasen funktioniert. Und je mehr Bestandsbüros besser genutzt werden, desto größer ist der Booster für die Nachhaltigkeit.

IZ: Herr Wagner, vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Ulrich Schüppler.